„Dat vindest du in der apoteken.“
Geschichte und Geschichten um das Apothekerwesen im Rhein-Kreis Neuss
Im Volksmund hat die Bezeichnung „Apotheke“ manchmal auch einen abwertenden Beigeschmack. Die Redewendung „Das ist eine Apotheke“ bezeichnet ein Geschäft, in dem überhöhte Preise verlangt werden. Vielleicht liegt der Ursprung dieses Zitates in den mythisch anmutenden Überlieferungen, die über geschichtliche Hintergründe des Apothekerwesens existieren. Der Begriff „Apotheke“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „Niederlassung“. Im Lexikon wird die Apotheke als ein „Gewerbebetrieb für die Zubereitung und den Verkauf von Arzneiwaren nach ärztlicher Vorschrift oder im Handverkauf“ bezeichnet. Im Mittelalter war der Ausdruck „Apotheca“ vor allem in den Klöstern gebräuchlich.
Vermutlich in den Basaren von Bagdad hatten die Apotheken ihren Ursprung. Im abendländischen Europa fasste das Gewerbe erst nach der Antike Fuß. Damals war ein Apotheker noch ein fahrender Händler. Für ihn waren lange Fußmärsche unerlässlich. Also musste sein Handwerkszeug für den problemlosen Transport konzipiert sein. Nach und nach erwarben die Händler Standrecht und konnten standortgebundene Verkaufsstellen eröffnen. Im 13. Jahrhundert errang der Apotheker seine Selbstständigkeit. Und die Hierachie änderte sich. Bisher war der Arzt selbst der Bereiter seiner Arznei, aber als die Anfertigung der Rezepte nach arabischem Muster komplizierter wurde, gab es eine Arbeitsteilung. Aus dieser bildete sich der Stand der „Apothecarii“, auch „Aromatarii“, „Confectionarii“ oder „Stationarii“ genannt. Die Apotheke wurde zur Verkaufsstätte von Arzneien, Gewürzen und anderen Dingen. Und oft hörte man den Ratschlag: „Dat vindest du in der apoteken.“
Italien konnte schon sehr früh auf den Apotheker-Stand verweisen. Genua und Venedig waren die Plätze für den Durchgangshandel orientalischer Produkte. Die Lagunenstadt verfügte über eine nach altem römischen Muster gegründete kontroll- und Aufsichtsbehörde der „Aromatarii“. Ihre Bedeutung als medizinische Institution wurde der Apotheke durch Kaiser Friedrich II. zuteil. Er erließ 1241 ein Gesetz, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker sowie feste Normen für die Ausübung des Apotheker-Stands reglementierte. Das war die Geburtsstunde der Apotheken im Reich.
Aufzeichnungen, die auf eine Existenz des Apothekerwesens in Neuss hinweisen, beginnen im 15. Jahrhundert mit einem schlichten Namensverzeichnis. Daraus ist zu entnehmen, dass häufig der Familienname Hinweis darauf gab welchen Beruf der Träger hat. So ist zum Beispiel 1547 von Johann Apotheker und 1582 von Meister Heinrich Apotheker die Rede. Die Schreibweise war nicht immer einheitlich. Manchmal hieß es Apteiker oder Apteker und schließlich Apotheker. Gebräuchlich waren auch die Bezeichnungen Pharmacopola, Apoteccarius und Apothicaire.
Unumstritten ist, dass dem Apotheker bereits im 16. Jahrhundert eine geachtete Stellung innerhalb der Bürgerschaft sicher war. Um Quacksalbern oder anderen Nicht-Befugten keine Möglichkeit zur „Pfuscherei“ zu geben, mussten sich die Apotheker einer Prüfung unterziehen. Diese und auch die Vereidigung wurde in Bonn vorgenommen. So erging es auch den beiden Neusser Apothekern Johann Josef Gottfried Sels und Petrus Wilhelmus Gouverneur, die 1779 auf Anordnung nach Bonn reisen mussten. Ebenfalls in diesem Jahr wurde Petrus Wilhelmus Gouverneur als approbierter Apotheke vor den beiden Bürgermeistern vereidigt. Der Schluss des Apotekereids lautet: „…. Und niemals jemand innerliche Arzneien, ohne Vorwissen eines Arztes, verordnen werde. So wahr mir Gott helfe uns sein heiliges Evangelium“.
Erste Nachrichten über Ereignisse im Zusammenhang mit Apotheken in Neuss liegen aus dem 17. Jahrhundert vor. Darin wird die „Alte Apotheke“ mehrfach erwähnt. Aus dieser Tradition ist die noch heute existierende „Einhorn-Apotheke“ hervorgegangen. Die sich über Jahrhunderte erstreckende Geschichte ist eine sehr bewegte. Denn die „Einhorn-Apotheke“ hat die Apotheker-Geschicke der Stadt Neuss von Beginn an mitgeprägt. Das ist nicht unerheblich, denn auf dem Gebiet der Pharmazie war die Quirinusstadt tonangebend. Bereits vor dem großen Brand im Jahre 1586 gab es stets zwei Apotheken. Danach, in den Jahren 1591 und 1620, ließen sich Jakob Hasanus und Adam Kramer als Apotheker nieder. Auf einem Grundstück am Marktplatz, auf dem das Haus „Zum goldenen Stern“ den Flammen zum Opfer gefallen war, errichtete Adam Kramer ein Patrizierhaus. Diese ging nach seinem Tod an die Witwe über, die den Apotheker Vincentius Wintz heiratete. Er verkauft das Gebäude vermutlich Mitte des 17. Jahrhunderts an den ersten Posthalter in Neuss und erwarb das Haus am Büchel. Der Beiname „Die alte Apotheke“ wurde übertragen.
Nach dem Tod des Ehepaares Wintz übernahm der Sohn Johann Ludwig Wintz die Apotheke. Als er 1688 verstarb, wurde der Ehemann von Schwester Gertrud, der Apotheker Johann Arnold Kleinermann, zuständig; anschließend – bis 1761 – der Sohn Johann Adolf. Die Intrigen, die die Erbin Jungfer Maria Agnes als Letzte des Neusser Geschlechtes Kleinermann spann, sind in einer Urkunde vom 15. Mai 1764 bewiesen. Auf jeden Fall erwarb Martin Anton Wolff, der mit Maria Katharina Sels verheiratet war, die Apotheke im Haus am Büchel. Später übernahm sie der Sohn Johann Gottfried Maria Sels, der sie wiederum an seinen Sohn Caspar Ludwig Alois Sels übergab. Bis 1882 führte Joseph Schütz die Apotheke, die dann von Robert Beuer aus Mönchengladbach übernommen wurde. Im Jahr 1891 wird Louis Strauven als Besitzer geführt, 1894 Hugo Boers. Und vom 1. Juli 1899 an ging die Einhorn-Apotheke in den Besitz von Viktor Napp über. Es folgte der Sohn Herrmann Napp. Später wurde die Apotheke von Paul Napp-Saarbourg übernommen, der als Apothekerlehrling von den Eheleuten Jakoba und Hermann Napp im Jahr 1949 an Kindesstatt angenommen wurde. Er ist noch heute Inhaber.
„Die Einhorn-Apotheke befindet sich seit über 100 Jahren in Familienbesitz“, betont Sohn Christoph Napp, der heute für einen reibungslosen Geschäftsablauf sorgt. Ihm ist die Tradition des Neusser Apotheker-Wesens aus Überlieferungen vertraut. Er weiß zum Beispiel, dass es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Sonnen-, Adler-, Löwen-, Einhorn- und Marien-Apotheke gab. Die Anfangsbuchstaben der Namen bildeten den Begriff SALEM. Zumindest innerhalb der Apotheker-Familie Napp wurde diese Erzählung von Generation zu Generation weiter gegeben. Ein wenig sagenumwoben ist auch die Geschichte um den Namen „Einhorn-Apotheke“. Ein Schreibfehler ist wahrscheinlich die Ursache dafür, dass eine 1823 registrierte Eintragung „Eichhorn-Apotheke“ lautete. „Das Fabeltier Einhorn passt besser in den Rahmen der mythisch anmutenden Geschichte des Apotheker-Wesens“, meint Christoph Napp. Die zur Komplettierung des Begriffs SALEM beitragende „Marien-Apotheke“ befindet sich an der Ecke Drususallee / Erftstraße.
Aus dem Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2004